Fragen
Guten Tag Herr Humoricus, darf ich Sie hier und heute einmal zu Ihrem Dasein als Zwerg befragen?
„Ich bevorzuge es, mit meinem Vornamen angesprochen zu werden.“
Darf ich also `Subversivo´ und `du´ zu Ihnen sagen?
„Zu dir.“
Wieso zu mir?
„Zu mir.“
Ok – Subversivo, wer bist du?
„Ich bin ein Zwerg mit einem großen Herzen für euch Menschen. Ich mag euch, obwohl ihr riesig komisch seid.“
Wieso sind wir komisch?
„Selbst die Größten von euch sind selten tatsächlich so klug und erwachsen, wie sie von sich meinen. Und die meisten von euch sind in Ansichten verstrickt, die ihnen den freien Blick versperren. Darum kann es bei euch freilich nicht so gerecht zugehen wie bei uns. Ich sehe euch alle: Weil ihr etwas beschränkt seid, lebt ihr beschränkt. Und ich sehe jeden einzelnen: Ich glaube nicht, dass Beschränktheit dein Schicksal ist.“
Hältst du mich für beschränkt?
„Ich sehe, wie du aus der Ewigkeit kommst und in ihr vergehst, und dazwischen deine einmalige Gelegenheit zum Leben bekommst. Da staune ich, dass du die Kürze deiner Lebenszeit zwei seltsamen Gewohnheiten opferst – der Gewohnheit, dich aus Gewohnheit nicht frei zu entfalten und der Gewohnheit, dies geflissentlich nicht zu erkennen. Du kannst ja nur ein Leben zu deiner vollen Entfaltung leben, dein Leben.“
Wovon lebst du?
„Es mag dich überraschen – von der Liebe der Menschen. Eure Liebe ist mein Lebenselixier. Doch so wie eure Liebe nicht erst durch wunderbare Nähe entsteht, sondern zu ihr führt, so entstehen eure Gewohnheiten nicht durch Normalität, sondern sie erschaffen sie.“
Was hat meine Normalität mit Liebe und mit dir zu tun?
„Frage dich einmal, ob es um deine Normalität infolge einiger Gewohnheiten nicht so gut bestellt sein mag – Hand aufs Herz: Wirft dein Leben einen Schatten auf die Liebe, von der ich lebe? Zurzeit investiere ich meine Kraft in die Heilung von Erde und Menschen, damit die Verbindung zur Natur und zur Ehrlichkeit wieder die Liebe zeitigt, die mich seit Menschengedenken nährt.“
Unterscheidest du dich von deinesgleichen?
„Ich trage meinen Zipfel nur bei Erregung aufrecht, verhalte mich nicht erwartungskonform, gelte als sehr umtriebig und bin als einziger Weinbergszwerg mobil. Außerdem spricht kein Zwerg außer mir davon, dass etwas sein ‚mögte‘, wenn sein mag, dass es sein könnte.“
Worin unterscheidest du dich nicht von deinesgleichen?
„Im spezifischen Gewicht, der körperlichen Dichte sowie der Dichtigkeit. Wir sind alle garantiert plastikfrei. Unsere Lebensdauer ist gleichermaßen extrem, wir sind ausnahmslos rostfrei. Alle Weinbergszwerge sind gute Taucher, aber Nichtschwimmer. Ich bin wie alle anderen Weinbergszwerge jederzeit für die Menschen da, wenn sie mich brauchen – weil für uns Zwerge nichts zu wundervoll ist um wahr zu sein und nichts, um nicht wahr zu sein.“
Wie bist du zu deinem Namen gekommen?
„Den habe ich mir selbst gegeben. Zwerge werden traditionell nach ihrem Beruf oder ihrer Berufung benannt. Ich will eure Gewohnheiten hinterfragen lassen, was diese jedoch zu verhindern wissen, denn keine Gewohnheit schafft sich freiwillig ab. Deshalb untergrabe ich ihren Selbsterhaltungsmechanismus, indem ich mich ihren Fundamenten widme: Ich sorge subversiv für kleine Überraschungen.“
Wie würden andere dich nennen?
„Das wäre eine Frage der Welt, aus der heraus ein Bezug erfolgte. Freunde des subtilen Witzes würden mich ‚Subtilo‘ nennen. Freunde der Teekessel mögten mich ‚Homy‘ nennen, weil ich Homonyme – Wörter gleicher Buchstaben aber verschiedener Bedeutung – subversiv nutze. Für Anhänger der Kürzel mögte ich ‚KSK‘ sein, kleiner Scherzkeks. Freunde vorausschauenden Denkens mögten mich ‚Proaktivo‘ nennen. Ordnungshüter könnten in mir den Gefährder ihrer Ordnung, den ‚Rebello‘ erkennen.“
Gibt es weitere Namen, die zu dir passen würden?
„Für Kybernetiker käme ich als ‚Exorbi‘ in Betracht, weil ich gern den Orbit verlasse. Für Nonkonformisten mögte ich ‚Kreativo‘ sein. Für Systemiker, Freidenker und Denksportler wäre ich ein idealer externalisierter Wirklichkeitskonstrukteur, ‚Exi‘ mögte ich da heißen. Schrotthändler sähen in meinem Materialwert einen Hauptgewinn, vermutlich wäre ich ‚Bingo‘ für sie.“
Und wer findet, dass Subversivo am besten zu dir passt?
„Die, die meine Sehnsucht kennen. Für meine Kumpane aus der Denkzwergstatt bliebe ich immer Subversivo, weil sie um meine Sehnsucht wissen: Es ist bei uns Zwergen Usus, im Beruf die Berufung auszuleben, weil die zwischen unserer Sehnsucht und dem Urgrund unseres Seins vermittelt.“
Was passiert, wenn man dich nicht versteht?
„Dann bleibt alles beim alten. Wenn du jedoch verstehst, dass du nicht verstehst, hast du etwas verstanden. Vielleicht macht dich das neugierig – sollte das der Fall sein, dann hat sich sehr viel verändert. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass Verständigung beginnt, wo Verstehen endet. Und ich sage, dass ich für niemandes Intelligenz verantwortlich bin. Verständigung hat etwas mit Begegnung zu tun, und Begegnung macht das Leben lebendig. Intelligenz kann eine Frucht dieser Lebendigkeit sein.“
Wo wohnst du?
„Ich halte mich vorwiegend auf Hitzackers Stadtinsel auf. Dort bevorzuge ich den Platz zwischen Hitzackers Denkzwergstatt und Hitzackers Märchenrose. Meine offizielle Meldeadresse ist Hauptstraße 13.“
Gibt es Geschichten über dich?
„Jede Menge. Freilich nicht nur die, die sich die Menschen erzählen. Manche stehen irgendwo geschrieben. Keine ist von mir, wenn sie über mich ist. Wie könnte deine Geschichte über mich lauten?“
Was willst du?
„Ich will, dass die Menschen ihre ureigenen Träume leben. Dazu konfrontiere ich die Macht der Gewohnheit mit der Kraft der Möglichkeit. Deshalb will ich auf die Üblichkeiten hinweisen, die all jenen Gewohnheiten zueigen sind, die eine gesunde und lebendige Entwicklung verhindern. Mir geht es um den Geist einer gemeinsamen Ethik.“
Willst du sagen, dass wir wegen Üblichkeiten nicht können was wir wollen?
„Schlimmer: Ihr wollt nicht einmal können, was ihr können wolltet, wenn ihr euch nicht so sehr entfremdet hättet. Ihr mästet euer Großhirn – vertraut aber zur Bewältigung von dessen Kapriolen eurem Stammhirn. Folgerichtig erkennt ihr nicht einmal, dass das nicht funktioniert.“
Woher willst du wissen, dass wir nicht können, was wir wollen?
„Wenn du könntest, wie du wolltest, würdest du mehr können als du kannst. Du könntest – kannst es aber nicht. Und wenn du wolltest, wie du könntest, kannst du wie du willst. Du willst also nicht, weil du es nicht kannst. Wenn du könntest, was ich kann, würdest du nicht wollen, was du heute willst, sondern das, was du wollen wolltest, weil du es dann kannst.“
Wie willst du uns aus diesem Dilemma heraushelfen?
„Ich spreche nicht über die Bedingungen von Gerechtigkeit der Gesellschaft, die zu einigen gerechter ist als zu anderen. Ich appelliere nicht an Fürsorge und Nachhaltigkeit. Ich postuliere nicht, dass du so einfach und dankbar leben sollst, dass es anderen auch möglich ist. Ich stelle lediglich Gelegenheiten zur Verfügung, die du nutzen kannst.“
Wie sollen diese Gelegenheiten nutzbar sein?
„Die Realität wird dahingehend zur Kenntlichkeit entstellt, dass du deine eigenen Grundannahmen erkennen kannst: Du kannst dich ihrer – und somit deiner – rückversichern. So lassen sich auch sicher geglaubte Wahrheiten prüfen und aktualisieren. Indem dies die Bedingtheit und Verfasstheit deiner Wertvorstellungen betrifft, profitiert zu meiner Freude die ganze Welt davon.“
Und wie willst du das anstellen?
„Perspektivenwechsel sollen Gelegenheit zu Einblicken in dein Verhalten verschaffen, damit du deiner ethischen Verantwortung gerecht werden kannst: Du mögtest den Status quo deiner Haltung abseits deiner Gewohnheit prüfen und die ökonomischen und ökologischen und sozialen Determinanten deiner Normalität ändern.“
Findest du Gewohnheiten schlecht?
„Gewohnheiten sind gut, solange es keine besseren gibt. Denn dann wären die gut, solange es keine besseren gibt. Es ist jedoch leider so, dass die besseren Gewohnheiten undenkbar bleiben, wenn Gewohnheiten für diese Undenkbarkeit sorgen.“
Wie hängen Gewohnheiten und Undenkbarkeit zusammen?
„Ungesunde Gewohnheiten resultieren aus der Verwechslung von Ersatz mit Ersetztem: Geld ist kein Wert. Mittel sind keine Zwecke. Und Status ist ohne Liebe. Daran ändert die Ignoranz nichts, die sich in der Undenkbarkeit sonnt. In deinem Verhalten offenbaren sich jene gepflegten und ignorierten Argumente, die deine Haltung ausmachen.“
Ist das bei euch Zwergen anders?
„Eure ignorierten Gewohnheiten bescheren euch eine erstaunliche Normalität samt deren verhängnisvoller Undenkbarkeit. Dass ihr nun die Erde zerstört, die ja auch unsere ist, war seit Zwergengedenken undenkbar. Deshalb stehen wir nun vor dem Problem der undenkbaren Undenkbarkeit. Wir müssen uns von einer uralten Gewohnheit verabschieden – was schwer fällt. Diesbezüglich sind sich Zwerge und Menschen denn doch recht ähnlich.“
Wie gehst du mit Normalität um?
„Ich verhelfe ihr zur Erkennbarkeit. Erkennen geht jedoch mit Veränderung einher. Und indem es leichter ist, andere oder gar die Welt verändern zu wollen als sich selbst, schützen sich viele Menschen vorm Erkennen, damit sich für sie nichts verändert. Deshalb werde ich überall dort als Unruhestifter gefürchtet, wo sich Menschen an ihre Bequemlichkeit gewöhnt haben.“
Wie gehst du mit dieser Angst um?
„Die Angst vor mir ist ein Ausdruck von Normalität. So kämpfe ich unverdrossen gegen die Übermacht großer Bequemlichkeit, weil ich Menschen mag und deren Bequemlichkeit normal ist. Um erfolgreich zu sein, muss ich Sinn stiften, denn ohne Anreiz kann ich keine Überwindung der Bequemlichkeit erwarten.“
Wie bekämpfst du Bequemlichkeit?
„Ich bekämpfe sie nicht, sondern ich kämpfe mit ihr um sie, indem ich bequeme Perspektiven einnehmen lasse und dann einen Perspektivenwechsel anbiete, der nicht unbequem erscheint. Humor kann das vermitteln. So kommt es, dass alles bequem bleibt – aber anders ist. Das, was diese Veränderung ausmacht, hat mit Sinn zu tun – er wird durch die Einladung zum Perspektivenwechsel gestiftet.“
Welchen Sinn stiftet dein Subversivo-Experiment?
„Den, den es stiftet – im besten Falle den, den es stiften soll: Ich wünsche mir für dich eine nützliche Neubetrachtung des Altvertrauten, damit dieses dich in seiner Vertrautheit nicht blind macht für das Unbekannte, um dessen Entdeckung du dich nicht gebracht haben wolltest, wenn es deine Gewohnheit nicht verhindert hätte. Zu diesem Zweck bin ich Projektionsfläche für dich und entfalte meine Aktivität im Experiment durchdich.“
Was verstehst du unter sinnvolleren Gewohnheiten?
„Gewohnheiten sind sinnvoll, wenn sie ein faires Miteinander kultivieren. Sinnvoll wäre, nicht an Voreingenommenheiten und Fehlannahmen festzuhalten. Gewohnheiten zeigten sich beispielsweise in ihrer Wirksamkeit sinnvoll, wenn Kinder nicht für die Versäumnisse ihrer Eltern aufkommen müssten, indem sie an Freitagen nicht die Schule besuchen können…“
Welche Gewohnheiten machen für dich keinen Sinn?
„Keine einzige! Denn es gibt nichts, was Sinn machen könnte – rein gar nichts. Indem ihr täglich das Gegenteil behauptet, habt ihr den größten Unsinn zur zentralen Gewohnheit werden lassen. Ein fataler Irrglaube kennzeichnet eure Normalität. Dieser Schwachsinn ist lebensgefährlich.“
Wieso ist unser Sinn Schwachsinn?
„Ihr müsst kapieren, wie ihr kapiert, um den Sinn eurer Gewohnheiten prüfen zu können. Sinn kann von dir gesucht, gefunden, gestiftet und gewürdigt werden – aber es gibt nichts, was ihn macht. Sinn ist an Erkenntnis gebunden und die ist die Frucht individueller Unterscheidung.“
Was passiert, wenn wir zu wenig unterscheiden?
„Die Gewohnheit der Nichtunterscheidung aus der Gewohnheit der Bequemlichkeit ist nicht sinnvoll, wenn sie sehr unbequeme Ereignisse zeitigt – sie ist dysfunktional bis in den Tod.“
Welche Unterscheidungen sind für dich wesentlich?
„Die nützlichen sind entscheidend, wenn es um Nützlichkeit geht. Nützlich in Bezug auf abzulegende Gewohnheiten wäre die Pflege jener verbindlichen Unterschiede, die zur Unterscheidung benötigt werden: Ihr dürft nicht Wörter mit Worten verwechseln, nicht das Scheinbare mit dem Anscheinenden und nicht eure Bedürfnisse mit euren Wünschen, wenn ihr sinnvolle Gewohnheiten etablieren möchtet.“
Bist du vielleicht ein wenig verrückt?
„Das ist eine Frage der Perspektive. Doch wenn Menschen einen Zwerg verrückt finden, anstatt sich selbst, obwohl sie dazu allen Grund hätten, kann es mir nur recht sein, weil mich diese Einfalt legitimiert. Ich spiegele dann Verrücktheit, damit jene Gewohnheiten erkennbar werden, mit denen die Normalen ihre Verrücktheit pflegen.“
Bist du renitent?
„Ich zeige auf, dass gehen kann, was nicht gehen kann. Das sprengt bisweilen die vermeintlich sichere Ordnung. Manche Menschen sind dann sehr irritiert oder intellektuell beschämt und bevorzugen es in ihrer Not, lieber einen Zwerg doof zu finden als sich selbst. Es machen mich bevorzugt diejenigen zu jemandem, der ich nicht bin, die sich scheuen, ihre Gewohnheiten infrage zu stellen. Die Zuschreibung der Renitenz werte ich deshalb als hilflosen Ausdruck der Bequemlichkeit.“
Wirst du kritisiert?
„Durchaus. Doch was mir von Menschen vorgeworfen wird, sagt mehr über sie aus als über mich. Vorzugsweise werde ich von jenen belächelt, die am wenigsten kapieren – dies aber am dringendsten nötig hätten. Solcherlei Kritik mangelt es an Substanz, sie kommt als unbeholfene Schutzbehauptung daher. Kurzum, Kritik offenbart die Zustände, deretwegen ich aktiv bin. Sie legitimiert mich also.“
Wann und wo wurdest du geboren?
„Meine Entstehung verliert sich im Dunkel der Geschichte. Doch es gibt Hinweise auf meine Existenz, lange bevor es diese gegeben haben kann. Meine Präexistenz reicht bis in eine erdgeschichtliche Epoche zurück, zu der am Elbestrand vor Hitzacker noch Palmen wuchsen.“
Gibt es Belege für diese Präexistenz unter Palmen?
„Eine Heimatzeitung soll über diese klimageschichtlich relevante Episode berichtet haben. Auch gibt es ein Fahndungsfoto von mir, obwohl ich nichts verbrochen hatte – außer präexistent zu sein, was für den damalig herrschenden Verstand schon kriminell war.“
Gibt es Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Ära?
„Ich habe nichts notiert. Aber es soll ein Brief von mir existieren, den ich seinerzeit unter einer Palme geschrieben und an Außerirdische adressiert hatte. Die sollten eine Sinnstiftungsmaschine nach meiner Anleitung bauen. Ich hatte mich seinerzeit an Außerirdische wenden müssen, weil Menschen außerstande waren, das Projekt nachzuvollziehen und weil unsere Kapazitäten für dessen Realisierung noch nicht ausgereicht hätten.“
Worin besteht der Zeitunterschied zwischen Existenz und Präexistenz?
„Der Unterschied ist weniger eine Frage der Zeitrechnung, als vielmehr eine der Deutungshoheit über sie. Menschen tappen durchs zeitliche Abseits, wenn und weil sie basale Referenzgrößen nicht korrigieren. Sie leben in einer zeitlichen Illusion.“
Wie kommt es zu der Illusion?
„Sie ist ein Kind der Gewohnheit. Alle abendländischen Kalender ignorieren, trotz Kalenderreform, dass der Heiland weder mehrere Jahre nach Herodes’ Tod gezeugt noch im Winter geboren worden sein kann: Zum einen hätte sich jene Volkszählung erledigt, deretwegen seine Geburt im Stall endete, und zum anderen hätte kein Hirte bei seinen Ziegen im Freien ausharren müssen, weil die im Stall gewesen wären.“
Wäre die Illusion durch die Behebung des Fehlers behoben?
„Wohl kaum, denn Menschen unterscheiden zu selten zwischen Gleichzeitigkeit und Zeitgleichheit, als dass sie etwas wie ein Empfinden für Zeit entwickeln könnten. Sie vertun ihre Zeit mit Zeiteinteilungen sowie dem Setzen und Einhalten von Fristen – das alles hat nichts mit dem Zeitverständnis von uns Zwergen zu tun.“
Welches Zeitverständnis haben Zwerge?
„Durch unsere enorm lange Lebensdauer ist uns Zwergen die Ewigkeit naturgemäß etwas vertrauter als den Menschen. Aus dieser Perspektive verwundert das hektische Verhalten der Menschen, weil sie sich um das Kostbarste ihres kurzen Lebens bringen: den Sinn. Ihre Ignoranz geht so weit, dass es normal ist, die eigene Zeit zulasten der Zeit Anderer zu strapazieren – ohne indes Zeit je tatsächlich erleben zu können.“
Was wäre anders, wenn Menschen Zeit erleben würden?
„Es ginge unter Menschen entspannt und sozial zu. In ihrer extrem unsozialen Beschränktheit unterscheiden sie sich von uns Zwergen grundlegend. Deshalb habe ich eine Sinnstiftungsmaschine entworfen, die zugleich eine Wunscherfüllungsmaschine ist.“
Was ist eine Wunscherfüllungsmaschine?
„Meine Wunscherfüllungsmaschine ist eine Maschine, die sowohl den Menschen als auch mir einen Wunsch erfüllt. Die Menschen wünschen sich technisches Gerät, jede neue Maschine weckt den Wunsch nach ihr. Weil das so krank wie normal ist, soll dieser Wunsch durch mich erfüllt werden, um die kranke Normalität erkennbar werden zu lassen.“
Was passiert, wenn Menschen die Maschine nicht benutzten wollen?
„Mein Wunsch nach Sinnstiftung wird nicht nur erfüllt, wenn meine Sinnstiftungsmaschine von Menschen benutzt wird. Selbst wenn sich Menschen dazu entscheiden, sie nicht zu benutzen, erfüllen sie meinen Wunsch: Sie sind abseits ihrer Gewohnheit mit ihrer Gewohnheit konfrontiert worden und haben eine offerierte Option verworfen – Offerte und Option wurden erkannt, und die Sinnfrage mit ihnen.“
Was ist eine Sinnstiftungsmaschine?
„Meine Sinnstiftungsmaschine ist ihrer Beschaffenheit nach ein interaktives Kunstprojekt, ihrem Anliegen nach ein Inspirationsinstrument und ihrer Funktion nach ein Verknüpfungsapparat: Sie erlaubt die Verknüpfung von Körper & Seele & Geist abseits der Gewohnheiten in Raum & Zeit über Vergangenheit & Gegenwart & Zukunft hinweg.“
Was passiert, wenn Menschen die Maschine benutzen?
„Wer die Bedienungsanleitung beachtet und die Maschine achtsam bedient, findet sich in der Zeitlosigkeit wieder, erlebt sich als Teil der Allheit des Vielen in Einem – und erkennt den Sinn der Suffizienz.“
Woher stammt die Idee für solch eine Sinnstiftungsmaschine?
„Auf Streifzügen durch die Undenkbarkeit bin ich eines Tages über einen Bauplan gestolpert. Den habe ich meinen Kumpanen in der Denkzwergstatt vorgestellt. Alle waren begeistert – fertig war die Idee.“
Was hat es mit der Denkzwergstatt auf sich?
„Die Denkzwergstatt ist eine Denkwerkstatt für Zwerge. Menschen würden sagen, dass dort die Wissenschaft außer Rand und Band gerät, was im übrigen kein Nachteil sein muss. Das Motto lautet: ‚Lieber geflutet von Weisheit als von Jahrhunderthochwassern‘. Dies ist ganz im Sinne der Märchenrose am Eingang der Denkzwergstatt, da sie keine Überflutung verträgt.“
Was wird in der Denkzwergstatt gelehrt?
„Seitdem der Leerstuhl für angewandten Unsinn besetzt werden konnte, wird pseudoobjektiver Denkmüll konsequent geleert. Unlängst wurde die Wahrnehmungs- und Schlussfolgerungslogik der Menschen beforscht, um jenen Gewohnheiten Rechnung tragen zu können, die den Blick auf sich selbst verstellen.“
Was macht ihr mit euren Forschungsergebnissen?
„Die sind brisant: Einfältige Entscheidungslogiken sind auch dann tödlich, wenn brauchbare Innovation einfältig gehandhabt wird. Die ermittelten Kausalzusammenhänge haben uns ermutigt, aktiv gegen Entfremdung vorzugehen. Für größere Forschungsprojekte haben wir unlängst den Grundstein für die erste ‚Drawehnopolabische Zwergenuniversität‘ gelegt.“
Was hat es mit der Märchenrose auf sich?
„Die Märchenrose lädt zum Denken ein. Ihrer Banderole zufolge kann alles wieder so sein wie es nie gewesen ist, wenn sie blüht. Im Zeichen dieser schönen Erkenntnis wird in der Denkzwergstatt gelehrt.“
Wie lässt sich die Erkenntnis nachvollziehen?
„Die Märchenrose kann zugleich in zweierlei Welt einladen: Sie kann die Rose eines Märchens sein, dessen Gegenstand die Rose mit ihrer Banderole ist, was zum Zeitpunkt der Betrachtung irgendwo rezipiert werden kann – oder sie mögte die Rose eines Märchens sein, dessen Gegenstand der Betrachter der Rose mit ihrer Banderole ist, was zum Zeitpunkt der Betrachtung nirgendwo rezipiert werden kann.“
Was bedeutet das für den Betrachter der Betrachtung?
„Die erste Einladung verweist auf eine betrachtbare Welt, die zweite Einladung verweist auf die Welt der Betrachtung. Die erste bietet eine Geschichte an, die zweite bittet um deine Mitwirkung. Siehe da – das erste Märchen kannst du haben, das zweite musst du sein.“
Wie kann ich mir deine Sinnstiftungsmaschine vorstellen?
„Stelle dir eine Installation irgendwo im Alltag vor, die aus einem äußeren und einem inneren Sehtest besteht. Der äußere erinnert an eine Fahne und bedient die Gewohnheit, sich sehenden Auges an Farben und Formen zu orientieren. Der innere erinnert an eine Blackbox und setzt voraus, Orientierung abseits der Gewohnheit mit geschlossenen Augen zu versuchen. Die Kombination fokussiert Körper und Seele und Geist, was im Alltag unüblich ist.“
Wie wird Sinn mit der Maschine gestiftet?
„Indem du und ich, wir beide uns gemeinsam zum Betrachter aller Dinge machen, die nur sind, wenn und weil das unserer beider Meinung nach der Fall ist. Bedenke: Du lebst in deiner Welt – ich in meiner. Du lebst im metrischen System – ich nicht. Deine Größe ist netto – meine ist brutto, weil ich für dich nur mit Zipfelmütze ein Zwerg bin. Für dich beträgt meine sogenannte Höhe über alles, also mit aufgerichtetem Zipfel, messbare 44 cm – ich selbst vermesse mich und die Welt in Seinsmaßen, weshalb ich nebenbei bemerkt wesentlich größer bin als es deine Längenmaße glauben lassen. Du lebst, indem du begreifst – ich indem ich spüre.“
Wie können wir gemeinsam zum Betrachter der Dinge werden?
„Siehst du den oben und unten aus der Blackbox herauskommenden roten Faden? Lasse uns ihn zum Roten Faden deines Lebens erklären, zu einer bunten Kette jener wesentlichen Momente, die dein Leben zu dem gemacht haben, was es ist. Und erkenne, dass der Faden auch jene Zone der Blackbox durchläuft, in der nichts zu wundervoll ist, um wahr zu sein und in der nichts zu wundervoll ist, um nicht wahr zu sein.“
Ich sehe was du meinst, verstehe es aber nicht!
„Nicht zu verstehen kann von Vorteil sein, insofern der Verstand der Vernunft hinderlich ist. Wenn du diesen Lebensfaden nun exakt in meiner Länge über alles, also um die für dich messbaren 44 cm, ziehst, dreht sich in der Blackbox die Welt der Welten exakt 13 mal um sich, wobei je eine Welt im Sichtfenster der Box erscheint. Nachdem du das Prinzip verstanden hast, kannst du den Faden behutsam auf deine Körperlänge – netto, ohne Hut oder Mütze – ziehen.“
Das ist ja ganz nett, aber nicht sehr spektakulär.
„Was du nicht sehen kannst, ist, dass sich beim Start der Turbolader einschaltet, der ein Weltenlader ist: Du startest mit einer Welt deiner Wahl und lädst dabei weitere. Da du aber keine einzige der Welten im Sichtfenster sehen kannst, weil das nur von der anderen Straßenseite aus möglich ist, derweil du ja diesseits unter der Maschine stehst, musst du dir vorstellen, was passiert: Es geht um KONZENTRATION, indem du ON ZEN TRAKTION bist.“
Welche Welten eignen sich für ON ZEN TRAKTION?
„Alle, denn alle sind mit der Welt der Wahrheit und der Wahrheit der Welt verknüpft. Keine Wahrheit ist privilegiert – du entscheidest dich für deine Wahrheiten.“
Kannst du mir ein Beispiel geben?
„Beginne mit geschlossenen Augen sehenden Herzens beliebig im Vorwärtsgang mit der (1) Welt der Menschen. Lasse diese Welt andere Welten laden: die (2) Welt der Liebe, die (3) Welt der Bildung, die (4) Welt der Arbeit, die (5) Welt der Hobbys, die (6) Welt der Freunde, die (7) Welt des Internets, die (8) Welt der Energie, die (9) Welt der Verträge, die (10) Welt der Krankheit, die (11) Welt der Lieblingstiere, die (12) Welt der Scherze, die (13) Welt des Abschieds. Sie zeigen sich je im Sichtfenster.“
Und wenn ich den Faden loslasse?
„Dann verfährst du umgekehrt. Die Bodenhaftung kannst du nicht verlieren, weil du ja stehst. Du lädst beliebige Beispiele für (13) Abschiede der Welt, (12) Scherze der Welt, (11) Lieblingstiere der Welt, (10) Krankheiten der Welt, (9) Verträge der Welt, (8) Energie der Welt, (7) Internet der Welt, (6) Freunde der Welt, (5) Hobbys der Welt, (4) Arbeit der Welt, (3) Bildung der Welt, (2) Liebe der Welt, (1) Menschen der Welt.“
Und was kommt dabei heraus?
„Indem so beiläufig klar wird, was welche Welt zur Welt gemacht hat – und welche Welten die Welt ausmachen, offenbart sich dir Komplexität. Es ist nun so, dass sich nicht alles um Komplexität dreht – sondern du dich als Teil von ihr erleben kannst. Je intensiver der Prozess, desto inniger begegnen sich Körper, Geist und Seele in einem Moment zu einem Moment. Aus dessen Zeitlosigkeit schöpfst du jenen Sinn, der uns Zwerge so frohgemut und gelassen sein lässt.“
Welche Welten sind besonders wichtig?
„Das wäre eine Frage für die Blackbox. Aus meiner Zwergenwelt heraus versichere ich dir, dass Gartenzwerge komplett anders ticken als unsereiner. Die leben in einem anderen Kosmos als wir, wenn bei denen und Konsorten überhaupt von ‚leben‘ gesprochen werden kann – uns trennen Welten. Und wir Weinbergszwerge sind als illustrer Haufen viel zu bunt, als dass ich für uns alle sprechen könnte.“
Was ist dir besonders wichtig?
„Für mich sind zwei qualitative Unterscheidungen bedeutsam, da sie für alle quantitativen Unterschiede relevant werden: Zum einen kannst du jede Welt zum Objekt oder zum Subjekt deiner Betrachtung machen – das ist der erste Unterschied. Zum anderen unterscheidest du zwischen deiner Betrachtung und dir als ihrem Betrachter, also nochmal zwischen Objekt und Subjekt – das ist der zweite Unterschied. Insofern ist für mich die Welt der Unterschiedsbildung sehr wichtig.“
Worauf sollte ich achten?
„In der Welt der Welten tummeln sich die Welten der Welt. Deine Beschäftigung mit einer gesunden Auswahl ist nicht nur für dich heilsam. Was für dich gesund ist, erweist die achtsame Beschäftigung: Ich empfehle Achtsamkeit.“
Was wäre für dich eine schöne Welt-Auswahl für mich?
„Es würde mich beruhigen, wenn in deiner Welt der Frohsinn einen Stammplatz innehat. Und wenn in deiner Welt des Sinns stets genug Platz bliebe für die Welt der Ästhetik, die der Kinder, die der Freunde, die der Anteilnahme, die der Subkulturen, die der Nützlichkeit und die der Suffizienz.“
Wie lautet die Bedienungsanleitung zur Wunscherfüllung?
„Rühre mit dem Roten Faden deines Lebens an der Welt der Wünsche und siehe mit geschlossenen Augen wie die Wünsche der Welt unzählige andere Welten berühren. Siehe wie die Wünsche diese Welten betreffen und verknüpfen oder verwirbeln. Siehe dabei unter allen Welten auch die Welt der Freude, die Welt der Familie, die Welt der Ressourcen, die Welt der Zeit, die Welt des Glücks, die Welt der Dankbarkeit, die Welt der Werte, die Welt des Sinns. Halte inne und entscheide dich im rechten Moment für den Wunsch, der tatsächlich dein ureigener ist.“
Kannst du mir einen Rat geben?
„Mein Rat an dich: Frage dich, was ich dir raten würde. Du kannst mich mitdenken als einen impliziten Komplizen – lass mich dein Implize sein, dann bin ich jemand, der nützlich inexistent ist, weil er trotz seiner Präsenz in keinem Wörterbuch der Welt zu finden ist.“
Und wenn ich noch eine Anregung bräuchte?
„Erfrische dich auf Ausflügen in fremde Welten und genieße die Welt der Zeitlosigkeit, damit du deinen Bezug zur Erde finden und deinen Beitrag zur Heilung der Welt stiften kannst. Mache alle spannenden Welten zu deiner Welt, dann träumt und lebt es sich besser.“
Und wenn ich noch weitere Fragen habe?
„Dann frage dich, was ich antworten könnte und ob du damit was anfangen kannst.“
Herzlichen Dank für das Interview!
Fragen-Experiment: Welche Denkgewohnheit meldet sich?