Anderser

Menschen verständigen sich seit Menschengedenken. Mal erfolgreich, mal nicht. Sie erfinden Begriffe und Bezeichnungen und kommunizieren mit ihren Erfindungen – mit ihren Haustieren oder anderen konstruierten Wesen, die es nach Lage der Dinge für die einen geben kann, für die anderen nicht. So pflegen manche Menschen sehr enge Beziehungen zu ihren fahrbaren Untersätzen, während andere sie kaputt machen. Manche lieben das Geld, manche lieben Werte. Manche wollen erst leben, wenn es dafür zu spät ist, manche verzichten ganz darauf. Manche denken nur an sich, manche denken gar nicht. Es zeigt sich, dass Menschen so widersprüchlich sind, dass sie sich selbst nicht verstehen.

„Wir können gar nicht blöde genug denken, um die Menschen wirklich zu verstehen. Wenn wir nicht so blöde denken können, wie wir es können müssten, um sie verstehen zu können, dann bliebe uns die Möglichkeit, die Menschen abseits ihres fragwürdigen Verstandes dazu anzuleiten, sich so zu verhalten, als dächten sie so wie wir. Denn da bei der grassierenden Verdummung die Segnungen der künstlichen Intelligenz ein Fluch sind, müssen wir handeln, bevor es auch für uns zu spät ist.“ So lautete das programmatische Fazit der `Bestandsaufnahme zur Entfremdung´ im Projektbericht 2023 der Denkzwergstatt.

Somit liegt nahe, dass Menschen den Zwergen Sorge bereiten. Eine Sorge, die sich den Menschen nicht mitteilen lässt. Denn wollten Menschen das Fazit der Zwerge interpretieren, dann verhielte es sich etwa so, als würden sich Regenwürmer der Deutungshoheit über einen Schmetterlingstext bemächtigen, dem zueigen ist, dass er von ihnen gar nicht verstanden werden kann. Kämen Menschen dessen ungeachtet zu einer Beurteilung des Zwergenfazits, muss diese im Verdacht stehen, die beklagte Blödheit zu bestätigen. 

Folgendes Beispiel offenbart das Verhängnis des Aneinandervorbeiverstehens: Subversivo sagt über seinen Freund Ferro: “Ferro schmiedet das Eisen, solange er heiß ist.“ Ferro sagt über seinen Freund Subversivo: “Subversivo unterminiert Gewohnheitsgrundlagen, damit die draufstockenden Kartenhäuser nicht ins Wanken geraten.“ Und beide sagen über ihre Freunde, die Menschen: “Sie würden wollen, was sie wollen wollten, wenn sie es könnten.“ Letzteres bestätigen die Menschen, wenn sie in den Aussagen der Zwerge Fehler zu erkennen glauben, die keine sind – und dabei den entscheidenden Fehler begehen, genau dies nicht zu sehen. In solch einem Falle kommt es zur unfruchtbaren Begegnung der waltenden Logiken. Dies nicht etwa in faktischer Ermangelung relevanter Vorverständnisse, sondern allein schon infolge etablierter Vorannahmen und leichtfertiger Zuschreibungen, die zu vorschnellen Beurteilungen verleiten. Denn auch wenn es die Menschen nicht glauben wollen: Ferro schmiedet nur, wenn er heiß aufs kalte Eisen ist und Subversivo will, dass die Kartenhäuser der Menschen von ihnen der Realität angepasst werden, bevor sie ernsthaft ins Wanken geraten.

Die Zeit zur erfolgreichen Verständigung ist für die Zwerge knapp geworden, denn bei den Menschen ist die Uhr seit Jahrzehnten auf fünf vor zwölf stehen geblieben, obwohl und weil ihnen zufolge die Zeit dermaßen schnell vergehe, dass es schon fünf vor zwölf sei. So, als würde die Gewöhnung an den Untergang diesen verhindern, frönen die Menschen der Gewöhnung, keine Verantwortung zu übernehmen. Zwerge können der absurden Logik der Menschen schlichtweg nicht folgen. Zwar leben sie ohnehin in anderen Zeitmaßstäben, doch ist ihnen der Blick auf die Zeit durch keinen vergleichbaren Realitätsverlust verstellt. Sie registrieren daher staunend die Entkopplung menschlichen Denkens. 

Da der Kontakt zu den Zwergen im Zuge dieser Entkopplung unter den Menschen zunehmend unpopulär geworden ist, gestaltet sich die Verständigung mit ihnen mühseliger als in Urzeiten. Davon abgesehen ist den Zwergen nicht verborgen geblieben, dass sich die Menschen eher – bisweilen gar exzessiv – mit Außerirdischen befassen, als mit ihnen. Unter diesem Eindruck hat Subversivo über Außerirdische Kontakt zu Menschen aufgenommen. Denn „das Konzept A-Z der Denkzwergstatt erkennt im offerierten Dreisprung `Außerirdische-Menschen-Zwerge´ die Chance einer transversalen und fluidalen Logik, die in metadimensionaler Funktion den Blick für blinde Flecken schärfen mag“ (Projektbericht 2023, Seite 13). Das heillose Durcheinander der Sichtweisen biete demnach die Grundlage für ein heilsames Miteinander, wenn es gesehen werden kann. Im Dschungel der waltenden Bedürfnisse und Entscheidungslogiken bietet Subversivo seine Hilfe an, um Interessierte humorvoll durch die sich auftuende Welt des Anderser zu navigieren. Diese multiversale Welt ist anders als erwartbar anders, also anderser. Sie bietet Einblicke in Parallelwelten – und erlaubt Ausblicke aus diesen. Subversivos Ausflüge durch die andersere Welt lebensweltlicher und lebenswirklicher Perspektiven sollen den gewohnheitsliebenden Geist erfrischen und ihm zu gesunder Erkenntnis verhelfen.

Anderser-Experiment: Welche Denkgewohnheit meldet sich?